Veranstaltungsreihe zum zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers vom 7.10.2023

Zwei Jahre ist es her, dass die Hamas und ihre Komplizen Israel und seine Bevölkerung überfallen haben. Die Terroristen wollten so viele Zivilist*innen wie möglich angreifen, entführen, vergewaltigen, töten. Es war das größte Pogrom gegen jüdisches Leben seit der Shoah. Nach dem 7. Oktober 2023 ist für Juden*Jüdinnen weltweit nichts mehr wie zuvor. Statt einer Welle der Empathie folgte den Massakern eine Lawine des Antisemitismus - auch in Deutschland, auch und gerade im Kunst- und Kulturbetrieb.
Das Makroscope verfolgt in der Programmarbeit seit Jahren einen antisemitismuskritischen Schwerpunkt. Zum zweiten Jahrestag der Zäsur setzen wir - in Kooperation mit der Partnerschaft für Demokratie Mülheim an der Ruhr - eine mehrteilige Veranstaltungsreihe um. Der Eintritt ist frei. Der Raum ist dem Erinnern gewidmet - Störungen akzeptieren wir nicht und haben ein entsprechendes Schutzkonzept vorbereitet.
Die Reihe wird gefördert im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie Leben!“ und mit Mitteln der Beauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen für die Bekämpfung des Antisemitismus, für jüdisches Leben und Erinnerungskultur.
6:56 - eine Fotoausstellung
6:56 Uhr am 7. Oktober 2023: Ein Hamas-Terrorist schlägt mit seinem Gewehr ein Fenster am Empfangshäuschen des Kibbuz Be’eri ein. Eine Überwachungskamera hält diesen Moment fest, der in Be’eri den Anfang vom Ende markiert. Die Bewohner*nnen des Kibbuz sind bereits eine halbe Stunde zuvor durch Raketenalarm und dumpfe Raketeneinschläge wach geworden – Geräusche, an die sich die meisten, die in den Kibbuzim nahe der Grenze zu Gaza leben, seit längerem gewöhnt haben.
In der Ausstellung 6:56 (Link) zeigt die Deutsch-Israelische Gesellschaft Würzburg Fotoaufnahmen aus dem November 2023, die das Ausmaß der Gewalt in den Kibbuzim Be’eri, Re’im und Nir Oz dokumentieren.
Die Ausstellung ist an allen Veranstaltungstagen von 16 bis 19:30 Uhr geöffnet (7.10., 9.10., 16.10., 23.10.). Die Ausstellung ist nicht für Kinder geeignet. Am 23. Oktober führt die Kuratorin Sabrina Zinke um 18 Uhr durch die Ausstellung.
7.10., 19:30 Uhr: Lesung aus Schutzraum - Seit dem 7. Oktober
Szenische Lesung mit dem Theaterkollektiv KGI - Büro für nicht übertragbare Angelegenheiten.
Die Anthologie Schutzraum - Seit dem 7. Oktober enthält Kurzgeschichten von zehn israelischen und nicht-israelischen Autor*innen, darunter Joshua Cohen, Maxim Biller, Asaf Schurr und Yaara Shehori. Es sind erste, aber anspruchsvolle literarische Versuche, sich mit einer Realität nach dem 7. Oktober 2023 auseinanderzusetzen, die die Möglichkeit der Darstellung und des Diskurses selbst bedroht. Sie unterscheiden sich in Perspektive und Stil voneinander, aber gemeinsam bieten sie den Leserinnen und Lesern ein literarisches Rüstzeug für das intellektuelle und emotionale Überleben – und eine Gemeinschaft, mit der sie den Schmerz und das Leid teilen und nach den richtigen Worten suchen können.
Die deutsche Ausgabe von Schutzraum ist bei Hentrich & Hentrich erschienen, herausgegeben vom Institut für Neue Soziale Plastik (Link).
Pressestimmen:
"Die Autor:innen versuchen die zerstörte, aufgebrochene Welt wieder neu zusammenzusetzen. Joshua Cohen schreibt 18mal den eigenen Namen untereinander. Was ist Geschichte? Nur eine Theorie? Und was machen junge und ältere Menschen aus ihrer eng geführten Theorie?" Demokratischer Salon, 27. Oktober 2024
"Beim Lesen will man Yaara Shehoris Einladung annehmen: 'Kommt und weint mit uns. Es ist noch Platz, hier, unter dem versengten Baum, neben dem zerstörten Haus. Genug Platz, im von Kugeln zersiebten Schutzraum, auf dem Feld, auf dem die reife Ernte am Stiel verfault.' Sie fasst das Leben in Israel seit dem 7. Oktober prägnant zusammen: 'Nur, wenn wir in Bewegung sind, sind wir okay. Mach etwas. Fahr. Sieh. Geh auf die Kundgebung. Steck dir eine gelbe Schleife an. Und noch eine. Wen soll das schon zurückbringen.' Ob ein Wunder geschehen wird?" Hagalil, 18. November 2024
9.10., 19:30 Uhr: Matthias Küntzel - Djihad und Judenhass: Das Massaker der Hamas und die Folgen
Das Massaker vom 07.10.2023 markiert in der Geschichte des Antisemitismus und für die Entwicklung des Nahostkonflikts eine Zäsur. Mehr als 1.200 Israelis wurden niedergemetzelt, mehr als 200 als Geiseln entführt. Dennoch wird über das antisemitische Motiv dieses Terrors kaum diskutiert. Umso häufiger ist stattdessen von „Opfern auf beiden Seiten“ oder einer „Gewaltspirale“ die Rede, so als handele es sich um Scharmützel, für die beide Seiten gleichermaßen Verantwortung trügen.
Im Rahmen unserer Veranstaltung wird Matthias Küntzel die Bedeutung dieses Massakers und dessen historische und ideologische Hintergründe herausarbeiten und die sich daraus ergebenden Handlungsoptionen zur Diskussion stellen.
Matthias Küntzel ist Politikwissenschaftler und Historiker und Träger des „Theodor Lessing-Preis“ 2022. Er publiziert über Antisemitismus im Islam, Islamismus und Nationalsozialismus sowie die deutsche und europäische Nahost- und Iranpolitik. U.a. wurden seine Bücher „Djihad und Judenhass“, „Die Deutschen und der Iran“, und „Nazis und der Nahe Osten“ in mehrere Sprachen übersetzt.
16.10., 19:30 Uhr: Nikolai Schreiter - Der 7. Oktober und die extreme Rechte
Am 7. Oktober postete die AfD-Bundestagsfraktion eine wehende Israelfahne auf Social Media und postulierte: „Israel und das jüdische Volk haben unsere volle Solidarität.” Bald schon aber lehnte man Waffenlieferungen an Israel ab, sah israelische „Kriegsverbrechen” und wollte Rücksicht auf „sensible iranische Gewässer” nehmen. Offene Neonazis hingegen forderten gleich: „Make Israel Palestine Again”, im verschwörungsideologisch geprägten Rechtsextremismus lud man Propagandisten des iranischen Regimes zum Interview. Der Vortrag untersucht die Reaktionen der deutschen extremen Rechte auf den 7. Oktober und seine Folgen und die Rolle von Antisemitismus und Antizionismus in diesen Reaktionen.
Nikolai Schreiter hat in Wien und Jerusalem Politikwissenschaft studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Lehrstühlen für Soziologie und für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehre an der Universität Passau. Er forscht zu Antisemitismus und Antizionismus in der extremen Rechten.
23.10., 19:30 Uhr: Johanna Bach - Empörungsbereitschaft und -abwehr nach dem 7. Oktober
Dass man die Funktionsweise und die Tragweite des Antisemitismus nicht verstehen kann, wenn man sich in dessen Analyse allein auf die kognitiven Vorurteilsstrukturen beschränkt, ist in der Forschung inzwischen weitestgehend anerkannt. Es wird darauf verwiesen, dass anschließend an Sartres Rede vom Antisemitismus als „Weltanschauung und Leidenschaft“, auch dessen emotionale Seite berücksichtigt werden müsse.
In diesem Kontext bisher wenig erforscht, ist die Rolle sogenannter „moralischer Gefühle“. Zu diesen zählt neben Schuld und Groll auch das Gefühl der Empörung, das in der Moralphilosophie als stellvertretendes Gefühl definiert wird. Was es für Opfer von Verbrechen bedeutet, wenn sich ihre Mitmenschen über das ihnen Angetane nicht empören, beschreiben u.a. Hannah Arendt, Primo Levi oder Jean Amery nach der Shoah eindrücklich. Und auch nach den antisemitischen Massakern der Hamas vom 7. Oktober 2023 beklagen Jüdinnen und Juden eine weit verbreitete emotionale Regungslosigkeit.
Gleichzeitig lässt sich nach dem 7. Oktober – gerade in linken Kreisen – eine enorme und geradezu intuitive Empörungsbereitschaft angesichts der israelischen Reaktion auf den Angriff der Hamas beobachten. Dabei geht es jedoch nicht immer um echte und notwendige Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung. Stattdessen dient Antisemitismus schon immer als identitätsstiftendes, kollektives Empörungs-Angebot, das moralische und emotionale Eindeutigkeit verspricht. Diese Gleichzeitigkeit von Empörungsverweigerung und Empörungsbereitschaft, die der Antisemitismus provoziert, gilt es auch angesichts aktueller Entwicklungen zu analysieren.
Johanna Bach hat Soziologie und Philosophie in Frankfurt am Main studiert und promoviert über Die Gefühlswelt des Antisemitismus an der Universität Passau. Sie ist Mitherausgeberin des Quellenbands Vermeintliche Gründe. Ethik und Ethiken im Nationalsozialismus und des Studienbuchs Soziale Arbeit und Rechtsextremismus sowie Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Artikel.